Brauchen wir eine dritte Kategorie von Landwirtschaft?

Es ist wichtig darüber zu sprechen, wie Lebensmittel in Deutschland heute erzeugt werden. Ich finde es begrüßenswert, dass sich mehr und mehr Landwirte, Bürger und Naturschützer dazu zu Wort melden. 

 

Unsere Landwirtschaft folgt aktuell politisch-industriell gesteckten Effizienz-Normen und -Zwängen. Dabei läuft sie Gefahr, unsere einst vielfältige Kulturlandschaft in Gänze zu zerstören.

 

Seit dem Volksbegehren der ÖDP für mehr Artenvielfalt in Bayern scheinen einige Menschen unsere Natur mit anderen Augen zu sehen. Es tut sich sogar einiges Positives. So werden beispielsweise gemeindeeigene Wiesen wieder gemäht, erst spät im Jahr – zum Teil staffelweise, und das Mähgut wird abtransportiert. Über die Zeit kann sich so wieder mehr Artenvielfalt einstellen. Auch Gartenbesitzer greifen wieder häufiger zu einheimischen Pflanzen und informieren sich genauer. Naturgärten erfreuen sich immer mehr Beliebtheit. Und auch mehr und mehr Landwirte beteiligen sich am Naturschutz. Doch es ist noch ein weiter Weg, für uns alle.

 

Wenn Landwirte hierzulande in weltweiter Konkurrenz stehen, so ist dies für die Erhaltung des Planeten und der Zukunft unserer Kinder und Enkel definitiv fatal. Und hier fängt das Dilemma an. Landwirte sind in der Zwickmühle. Auf der einen Seite steht eine Bevölkerung, die zunehmend mehr ökologischen Landbau und einen verantwortungsvollen Umgang mit den vorhandenen Ressourcen fordert, auf der anderen Seite steht eine Politik, die es einfach nicht schafft, sich von Wachstumsgedanken zu lösen und neue Wege zu gehen in Richtung moderner Kreislaufwirtschaft. Dazwischen werden die Landwirte zermahlen und versuchen sich damit zu rechtfertigen, dass sie alle Vorschriften einhielten.

Blühstreifen sollen's richten

Nicht überschrittene Dünge-Richtwerte und fünf Jahre bestehende Blühflächen werden derzeit schon als großer Erfolg verkauft.

 

In der Tat sind Blühflächen besser, als Mais-Monokultur-Flächen. Doch wird dabei übersehen, dass die 5-Jahres-Grenze, die man einen Ackerland aus der Bewirtschaftung nehmen kann, auch zu einem Teil wieder nur der Industrie zugute kommt. So muss spätestens nach fünf Jahren umbrochen und neu eingesät werden.

 

Wieso? Vielleicht, weil dann die Geldmaschine der Saatgut-Industrie wieder rattert. Dies mag nicht der einzige Grund für die 5-Jahres-Grenze sein, doch für unsere Insekten- und Tierwelt ist ein Umbruch nach fünf Jahren fatal, da sich ja nun erst die ersten Gäste dauerhaft ansiedeln. Für die Abmagerung einer Wiese, um einen wirklich wertvollen Lebensraum für seltene Insekten zu schaffen, reichen fünf Jahre in jedem Falle nicht aus. Auch kein bislang gesetzter Grenzwert für Dünge- und Spritzmittel reicht aus, um unsere Artenvielfalt zu bewahren, wie Studien belegen.

 

Frühere, schonende Bewirtschaftungsformen dagegen haben die Vielfalt an Insekten, Amphibien und heimischen Säugern dagegen erhalten und den Bestand zum Teil sogar erhöht. Die Frage ist also, wie schaffen wir es, wieder mehr in diese Richtung zu kommen?

Naturbildung als gesellschaftliche Bildungslücke

Ja, es ist traurig, wie es aktuell ist. Manche Kinder (und Erwachsene) kennen keinen Distelfink, keine Gelbbauchunke, keinen Siebenschläfer mehr. Die “Normallandschaft” ist für sie zur Normalität geworden. Manche Menschen fürchten sich sogar vor dem, was unsere Natur zu bieten hat, weil sie diese nicht mehr kennen – anstelle die Schönheit zu erfahren und die Zusammenhänge zu verstehen.

 

 

Manche unserer Gewässer sind in einem ökologisch schlechten Zustand. Hier kann kein Laubfrosch mehr leben. Auch die Strukturen die er für die Überwinterung braucht fehlen vielerorts gänzlich.

 

Seit den 1970er Jahren hat sich zwar auch einiges wieder gebessert, dank der unermüdlichen Arbeit von Naturschützern, Naturschutzverbänden, Politikern, Interessensverbänden etc. doch kann und darf der Status-Quo aus meiner Sicht weder verteidigt, noch als "gut" oder "verkraftbar" verkauft werden. Wir sind lange nicht am Ziel. Eine Blühfläche, so wertvoll sie ist, macht den Einsatz flächendeckender Herbizide, Fungizide, Pestizide und sonstiger -zide nicht wieder gut. Dies belegen zahlreiche Studien und es gibt keine unabhängige Studie, die etwas anderes belegen könnte. Mittlerweile ist es sogar für jeden auch ohne Studie gut sichtbar, dass es in unserer Natur still geworden ist. Kein wunder, es wird gemulcht und vergiftet, was nur geht.

 

 

Wenn man sich umsieht bemerkt man, unsere Landschaft ist nicht mehr schön. Sie ist artenarm und leer. Es fehlen vielerorts Strukturen. Unsere Natur ist zur Agrarwüste verkommen, egal mit welcher Bewirtschaftungsform. Die frühere Kulturlandschaft gibt es kaum mehr. Beinahe jeder quadratmeter (abgesehen von manchen Schutzäckern und Naturschutzgebieten) wird irgendwie genutzt. Und diese Flächen (im Sinne der Artenvielfalt gepflegt) rangieren im Bereich von unter 10% der bewirtschafteten Gesamtfläche. Dies reicht nicht, um unsere Artenvielfalt zu erhalten.

Intensive Landnutzung

Natürlich geht es nicht nur um Landwirtschaft. Auch sonstige Landnutzung durch Straßen-Neubauten oder Neubausiedlungen, Industriegebiete und Lichtverschmutzung wirken sich stark negativ aus. Doch werden noch immer 80% der Gesamtfläche Deutschlands landwirtschaftlich genutzt. Daher müssen wir uns diesen stark landschaftsbildenden Sektor einfach ansehen, ohne den Rest zu übersehen. Zurück also zur Landwirtschaft.

 

Eine weltweite Konkurrenz unserer Bauern mit Ländern, die flächenmäßig zigfach größer sind, als Deutschland, ist absoluter Blödsinn, aus meiner Sicht.

 

Häufig werden von Landwirten andere Länder angeführt, mit denen sie in Konkurrenz stehen. Länder, die von Pestizidkontrollen noch weit entfernt sind, ja, die erst beginnen, die Schönheit und Vielfalt ihrer Landschaft mit großen Maschinen zu zerstören. Dabei sitzen sie dem selben Schwindel auf, wie wir: Wirtschaftswachstum = Erfolg. Doch es zeigt sich, Wirtschaftswachstum eben nicht gleich Erfolg, sondern langfristig bleibt nur Ödnis und Zerstörung.

 

Sich auf Länder zu beziehen, die es noch schlechter machen, als Deutschland, um selbst besser da zu stehen wäre so, als würde man einen Korb voll fauler Äpfel am Markt präsentieren, um den eigenen mit nur halb faulen Äpfeln als hervorragend anzupreisen. Dies ist ein Kuhhandel, ein wirklich fauler Kompromiss, der ein Ende haben muss, wenn wir eine Zukunft haben wollen. Denn unsere Natur verkraftet ist nicht (mehr). Und wo bleibt da die Zukunft unserer Kinder?

Es geht nur miteinander

Wir werden mit einem Gegeneinander, "wir machen doch eh nur das, was wir dürfen!” der Landwirte auf der einen Seite und  einem “ihr macht doch alles kaputt!” mancher Verbraucher und Naturschützer auf der anderen Seite nicht weiter kommen.

 

Fakt ist, dass wir seit der Industriealisierung der Landwirtschaft ab 1950 nachweisbar zwischen 70% und 90% unserer Ackerwildkräuter, Wildpflanzen, Insekten, Amphibien, Säugetiere etc. verloren haben und durch eine Bewirtschaftungsweise wie sie aktuell betrieben wird, der Trend nicht zu stoppen ist.

 

Viele Pflanzen und Tiere sind bereits ausgestorben. Das ökologische Gleichgewicht schwankt gewaltig. Fakt ist aber auch, dass es Menschen gibt, die gerne etwas zu Essen auf dem Tisch hätten, ohne viel dafür zu tun. Diese beiden Themen müssen wieder zusammen passen und nicht in Konkurrenz stehen.

 

Wir müssen zusammen einen neue, nachhaltige Zukunft der Ernährung im Einklang mit Naturkreisläufen erdenken. Natürlich geht es dabei um mehr, als das, was auf dem Acker passiert. Es spielt auch eine Rolle, wo die Lebensmittel konsumiert werden und ob überhaupt. Es spielt eine Rolle, was aus dem Mais auf dem Acker wird. Da kommt man schnell zu Ernährung, Welthandel und Energieerzeugung. Ich glaube wir sollten versuchen, uns mehr auf unseren heimischen Markt zu konzentrieren, was Erzeugnisse aus dem Ackerbau anbelangt und unsere Landwirte aus der weltweiten Konkurrenzschlacht befreien. Dazu brauchen wir die Politik. Wir sollten versuchen, weniger zu verschwenden, sprich weg zu schmeißen. Wir könnten uns im Gegenzug mehr selbst und regional versorgen. Dazu brauchen wir den Verbraucher. Allein dadurch könnte vermutlich jeder Landwirt anders wirtschaften, vielleicht sogar über Permakultur nachdenken, damit unsere ausgeräumte Landschaft wieder vielfältiger und reicher wird. Hier kommen also die Landwirte ins Spiel.

 

Es sind also mindestens drei Akteure, die hier zusammen spielen müssen. Die Politik, der Verbraucher und der Erzeuger. Alle müssen sich darüber Gedanken machen, wie ein schonender Umgang mit unserer Natur gelingen kann, wie eine nachhaltige ökologische, biologische Landwirtschaft gelingen kann, in der Naturschutz und Naturnutz keine Gegenspieler sind, sondern zwei Seiten ein und der selben Medaille. Und hier stehen wir noch ganz am Anfang.

Konkurrenz muss kOoperation werden

Heute wird die Biologische Landwirtschaft gefeiert, während die konventionelle verteufelt wird. Doch auch wenn alle Betriebe biologisch wirtschaften würden, wäre unsere Artenvielfalt noch in Gefahr. Es geht auch um die schiere Fläche und die Intensität in der bewirtschaftet wird oder Flächen anderweitig genutzt werden. Effizienzdenken ist hier fehl am Platz und darf in Zukunft keine Rolle mehr spielen, egal, wie uns das gelingen mag.

 

 

Wir müssen anfangen, uns von der globalen Konkurrenzfähigkeit zu verabschieden. Wir müssen anfangen, uns überhaupt von der Konkurrenz hin zur Kooperation zu bewegen. Wir sitzen alle in dem selben Boot. Wirtschaftswachstumszwänge müssen überwunden werden. Wieso schaffen wir es seit den 1980er Jahren nicht, wenigstens 1/3 aller Flächen aus der landwirtschaftlichen Bewirtschaftung zu nehmen und die Flächen im Sinne des Artenschutzes zu pflegen? Ein Blühsteifen auf ein Jahr, neben hoch industriell bewirtschafteten Flächen wäre überflüssig. Schon heute ist er eigentlich lächerlich.

 

Erst, wenn wir aufhören, mit Fabrikhallen, die wir über die Felder schieben und ziehen, innerhalb von wenigen Tagen Gigatonnen Ernte einzufahren, die weltweit verschifft wird – erst, wenn wir es schaffen, keine 5.000 Tonnen Glyphosat pro Jahr zu verwenden, sondern 0 – erst, wenn wir es schaffen, nachhaltig, vielfältig in Kreisläufen zu wirtschaften, dann hat unsere Natur wieder eine Chance und wir und unsere Kinder wieder eine Zukunft! Zudem würden wir in schönen, artenreichen und abwechslungsreichen Landschaften leben und wandern, anstelle von Maiswüste zu Maiswüste.

Eine neue Welt

Ich träume von einer Welt, in der nicht Auslaufmodelle verteidigt werden und ein "weiter so wie bisher”, sondern neue Wege erschlossen werden, die eine Zukunft wieder erstrebenswert macht. Lasst uns gemeinsam von einer besseren Landwirtschaft, Landschaft und Lebensform träumen.

 

Eine dritte Form der Landwirtschaft, bei der nicht die Ökonomie, sondern die Ökologie im Zentrum steht.

 

Auch von grüneren, autofreien Städten und autofreien Landschaften in denen keine Wildtiere mehr durch unseren Wunsch nach Mobilität sterben müssen.

 

Wenn wir erst eine Vorstellung davon entwickelt haben, können wir sie auch erreichen. Und auch, wenn noch so viele Landwirte der konventionellen Schule ihre Giftwirtschaft als gut verkaufen, sie ist ein Auslaufmodell und wird verschwinden.

 

Je früher, desto besser für die Natur und damit unsere Zukunft!

Was jeder sofort tun kann

Übrigens kann jeder bei sich anfangen, die Welt zu verändern. Etwa durch den Kauf regionaler, ökologisch erzeugter Lebensmittel mit strengen Labels wie “Bioland” oder “Demeter”, durch das Anlegen sog. “Lebensinseln” (www.lebensinseln.org) oder einem sog. “Hortus” / Drei Zonen Garten (www.hortus-netzwerk.de), durch die aktive Mitgliedschaft in einer Naturschutzorganisation oder durch das Eröffnen eines Permakultur-Hofes, Verpackungsfrei-Ladens, etc. Auch die “Solidarische Landwirtschaft” (www.solidarische-landwirtschaft.org/startseite/) wäre eine Möglichkeit, sich aus den Effizienzzwängen der politik-gestützten Wachstumsindustrie zu befreien. Viele Landwirte beteiligen sich ehrenamtlich schon heute am Naturschutz.

 

Es gibt also viele Möglichkeiten, die bereits zur Verfügung stehen. Naturschutz im Einklang mit Lebensmittelproduktion ist für mich ein Modell mit Zukunft.

 

Die Versorgung der Bevölkerung hierzulande kann so gelingen, wenn wir wollen. Dabei müssen unsere Lebensmittel nicht ins ferne Ausland transportiert werden und umgekehrt, weil sich das besser rechnet (was es in Wirklichkeit ohne Subventionen gar nicht tut).

 

Lasst uns eine neue, nachhaltige Zukunft schaffen!

 

Euer,

David Seifert

11. August 2019

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